Brand Marketing vs. Performance Marketing – Adidas räumt strategische Fehler ein

So etwas passiert eigentlich nur sehr selten: Ein Media-Chef räumt ein, man habe zu lange auf die „falschen“ Werbekanäle gesetzt. Ein Kurswechsel muss her. So trat Simon Peel, Global Media Director bei Adidas, vor kurzem bei der EffWeek Conference in London vor die Audienz. Die Schlüsselfrage und damit auch der nun wohl folgende Richtungswechsel im Marketing des Sportkonzerns dreht sich um Effizienz versus Effektivität, um Performance vs. Brand Marketing und genau hier habe Adidas in den vergangenen Jahren, laut Peel, keine gute Figur gemacht. Aber ist das richtig? Sollte eine Marke wie Adidas mehr Werbebudget in klassische Brand-Awareness-Kampagnen anstelle in klick- und suchwortbasierte Werbung investieren? Ist es überhaupt eine Frage nach Größe und Bekanntheit der Marke oder kann man hier die Gretchenfrage auch auf kleinere, noch unbekannte Marken und Startups ableiten? Welcher Strategie sollten Werbetreibende speziell im E-Commerce folgen? Wir wollen hier einmal ein wenig „aufräumen“ mit der klassischen Denke und Vorurteilen in beiden Richtungen und schauen uns bei der Diskussion um „Performance oder Marken-Kampagnen“ fünf wesentliche Mythen an, die dabei immer wieder diskutiert werden.

1) Eine große Marke braucht kein Performance-Marketing

Bei einer Weltmarke wie Adidas darf man davon ausgehen, dass die Markentreue und Markenbegeisterung bei einem Kauf überwiegen und damit steht ein suchwortbezogenes Performance-Marketing am Pranger. Konkret: Kaufen Nutzer:innen zum Beispiel auf dem Marketplace Amazon nur deswegen „Adidas Fußballschuhe aus Leder“, weil diese aus Leder sind oder weil sie eigentlich „nur“ ein Produkt der Marke erwerben möchten, da sie von dessen Qualität und Strahlkraft begeistert sind? Die Frage ist berechtigt, aber betrachtet nur die halbe Wahrheit, denn „Search“ splittet sich im Kontext Produktsuche in zwei Bereiche auf: „Brand-Search“ und „generic Search“. Soll heißen, dass ein Teil der Käufer:innenschaft vielleicht noch gar nicht entschieden hat, in welche Marke das Geld investiert werden soll. Sucht jemand nun nach „Fußballschuhe Leder“ ohne Markenbezug, ist Performance-Marketing genau der richtige Kanal, um hier für kaufsensiblen Traffic zu sorgen.

Dazu kommt ein weiterer Fakt: Markentreue (oder auch als „Brand-Loyalty“ bezeichnet) ist speziell durch das Überangebot auf Marktplätzen wie Amazon stark sinkend und das gilt besonders für kleinere und global noch eher unbekannte Marken. Wer hier gänzlich auf Brand-Marketing setzt, verpasst die Chance, sich gezielt am Ende der Customer-Journey zu platzieren. Auch klassische „Angriffskampagnen“ mit Suchwortbezug sind mit Performance-Marketing viel eher und gezielter möglich. Um eine gewisse Grundsichtbarkeit und auch den generischen, nicht markenbezogenen Suchwortbereich abzudecken, sind Performance-Kampagnen gerade auch für große Marken wichtig und sinnvoll.

2) Brand-Marketing ist nicht verkaufswirksam und wenig messbar

Aus dem „Performance-Lager“ wird oft kritisiert, dass Brand-Marketing quasi nicht messbar und vor allem nicht verkaufsorientiert ist. Wenn man gezielt Umsatz generieren will, dann sollte man auf Performance-Marketing setzen. Aber auch das ist nur zum Teil richtig und kurzfristig betrachtet. Wenn jemand nach einem Produkt sucht und hier eine passende und darauf bezogene Werbeanzeige ausgespielt bekommt, wird er effizienter zum Kauf geleitet. Das stimmt, aber was ist mit Nutzer:innen, die noch gar nicht wissen, dass ein bestimmtes Produkt oder eine Marke existieren? Vielleicht wissen sie noch gar nicht, welches Produkt ein bestimmtes Problem lösen kann. Vielleicht wissen sie noch gar nicht, dass sie überhaupt ein bestimmtes „Problem“ haben, das ein gewisses Produkt lösen kann. Genau hier kommt Brand-Marketing sehr früh in der Customer-Journey ins Spiel. Hier ist zurecht auch oft von „Brand-Awareness“ oder konkret „Product-Awareness“ die Rede, d. h. dass Nutzer:innen aufmerksam gemacht werden und ein gewisser Bedarf bzw. eine Art Neugier geweckt wird. Nur auf klick- und suchwortbasiertes Marketing zu setzen, ist demnach ebenfalls nicht richtig, denn hier erreicht man nur die Käufer:innen, die sich quasi schon entschieden haben. Es ist korrekt, dass Performance-Marketing in puncto Sales viel messbarer und scheinbar zielgerichteter ist. Was aber, wenn die Käufer:innen vorher nie auf das Produkt oder die Marke aufmerksam gemacht worden wären? Natürlich ist das schwerer und manchmal gar nicht (direkt) messbar, aber dennoch ist Brand-Marketing oft der erste „Touchpoint“ in der Customer-Journey, ohne den auch das nachgelagerte Performance-Marketing leiden kann. Brand-Marketing kann daher sehr wohl auf Sales, wenn auch indirekter, ausgerichtet sein und hat demnach eine wichtige Daseinsberechtigung.

3) Nur mit Performance-Marketing kann man effektiv Umsätze steigern

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Auch diese Aussage stimmt nur zum Teil und schließt direkt an Punkt 2 an, denn natürlich wird man mit gezielten und relevanten Performance-Kampagnen umsatzrelevanter agieren können. Aber Brand-Marketing kann z. B. auch gezielt auf Produkte und Marken von Mitbewerber:innen gerichtet und damit der Marktanteil gesteigert werden. Auch hier gilt der Ansatz des ersten Touchpoints möglicher Käufer:innen und man muss sich die Frage ehrlich stellen: Warum haben Nutzer:innen nach meiner Marke oder meinem Produkt gesucht? Wie sind sie auf die Idee gekommen? Was hat sie aufmerksam gemacht? Streicht man nun ersatzlos Awareness-Kampagnen, welche klar zum Brand-Marketing gehören, dann würde ein Klick auf die Performance-Kampagnen vielleicht nie passieren.

Wenn es aber um bekannte Produkte mit starkem Markenbezug geht dann wird vielleicht gar kein Brand-Marketing notwendig bzw. überflüssig sein. Hier kann zusätzlich auch auf den Einsatz von hybriden Werbeformen wie dem „Retargeting“ oder „Remarketing“ gesetzt werden, welches weder ganz klassisch Performance noch Brand ist.

Fakt aber ist, dass bei Faktoren wie begrenzter Zeit (z. B. bei Abverkauf oder saisonalem Bezug) und begrenztem Budget ein Investment in Brand-Marketing nicht der sinnvollste Schritt wäre, da diese Kampagnen-Ausrichtung eher als mittel- bis langfristig betrachtet werden sollte. In diesem Fall ist eine dominante Sichtbarkeit am Ende der Customer-Journey durch gezieltes Performance-Marketing die bessere Option.

4) Brand-Awareness ist langfristig, Performance-Marketing ist kurzfristig

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Grundsätzlich sollten Brand-Kampagnen nie an kurzfristigen Verkäufen gemessen werden, denn genau dafür gibt es schließlich das Performance-Marketing. Diesem nun aber eine reine Kurzfristigkeit zuzuweisen, ist ebenfalls zu eng gedacht. Dazu ein kleines Szenario: Eine Sportmarke setzt konzentriert auf Performance-Kampagnen und steigert damit in kurzer Zeit massiv den Absatz ihrer Produkte. Eben diese Markenprodukte sind nun in größerer Stückzahl in der „echten Welt“ unterwegs, da sie von den Käufer:innen getragen und genutzt werden. Eben weil deutlich mehr Produkte der Marke im Umlauf sind, fällt dies auch anderen Menschen (= potentiellen Käufer:innen) auf. Deren Interesse wird geweckt und sorgt für einen Anstieg der Suchanfragen nach Produkten der Marke. Demnach kann Performance-Marketing einen ähnlichen Effekt wie Brand-Marketing haben, denn die physische, reale Welt wird im digitalen Marketing gern vergessen oder ausgeblendet. Markenbotschafter:innen sind eben nicht immer nur bekannte Personen des öffentlichen Lebens, sondern auch jede:r einzelne Käufer:in eines Produkts. Daher kann Performance-Marketing eine viel größere Wirkung als nur eine kurzfristige Verkaufschance haben.

5) Werbebudets sollten gleichmäßig verteilt werden

Typisch ist bei Konzernen und großen Unternehmen eine Fixierung von Werbebudgets in puncto maximaler Grenze, starre Verteilung auf Zeiträume und Werbekanäle. Man nehme x-Euro Werbebudget, teile es zu gleichen Teilen für Brand- und Performance-Marketing und danach zu 12 Monatsteilen auf. Selbst eine gewichtete Variante mit saisonalem Umsatzbezug (z. B. mehr Kampagnenbudget im November und Dezember für das Weihnachtsgeschäft) hilft dabei nicht wirklich, ist aber häufig die Realität. Eine gewisse Media-Budget-Planung ist natürlich notwendig, aber starre Verteilungsschlüssel dabei wenig hilfreich, denn hier werden dynamische Faktoren wie Konkurrenz-Aktivität, Veränderung der Werbeformen oder unvorhersehbare Kaufaktivitäten nicht berücksichtigt. Ob man nun in Performance- oder Markenwerbung investiert, wann und zu welchen Teilen das Werbebudget verteilt wird, sollte niemals starr fixiert werden. Fehlende Budget-Dynamik führt viel eher zu Sichtbarkeitsverlusten, Umsatzeinbußen und auch Verschwendung von Budgets.

Fazit: Es darf keine Oder-Entscheidung zwischen Performance- und Brand-Marketing sein

Am Ende sollte und muss jeder selbst entscheiden, wie stark und in welchen Kanal er investiert. Fakt aber ist, dass eine binäre Betrachtung in der Klärung, ob man als Händler:in, Marke oder Dienstleister:in in Performance- oder Marken-Werbung investieren sollte, der Sache oft nicht gerecht wird. Eine Entweder-Oder-Entscheidung auf pauschale Weise wäre viel zu oberflächlich. Klare Ziele vor Augen zu haben, was genau kurz-, mittel- und langfristig mit einem Werbebudget eigentlich erreicht werden soll, ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Der gesamte digitale Werbemarkt mit all seinen Veränderungen und Strömungen ist zudem viel zu komplex, als dass man hier absolute und vor allem starre Aussagen treffen sollte. Stattdessen ist es ratsamer, in der Allokation der Budgets stärker auf flexible und dynamische Hebel zu setzen und das gilt sowohl für Performance-orientierte als auch Marken-ausgerichtete Werbung. Wird ein Ziel in einem realistisch gesteckten Zeitraum nicht erreicht, sollte man weder die eine noch die andere Marketing-Ausrichtung per se verteufeln, sondern viel eher Werbeetats flexibel shiften können und neu beobachten was passiert.

Abschließend eine persönliche Anmerkung: Man darf sich keinesfalls nur auf einzelne Meinungen verlassen. Viel wichtiger ist es, unterschiedliche Werbekonzepte zu vergleichen und diese ehrlich mit den eigenen Zielen abzustimmen. Einen generellen Switch von Adidas weg von Performance-Marketing und hin zu Brand-Marketing (wie auch immer dieser konkret in der Praxis aussehen kann) halte ich für grundlegend falsch, ohne dabei alle Details und Grundlagen dieser Entscheidung zu kennen – offen gestanden. Dass Markenwerbung effektiver sei als suchwortbasierte Werbung, bezweifle ich sehr stark. Am Ende sollte ein gesunder Mix aus beiden Kanälen in Verbindung mit einer dynamischen Budget-Gestaltung und klarer Zielsetzung angestrebt werden. 0 oder 1 mag in der Informatik funktionieren, im digitalen Marketing mit Sicherheit nicht.

Weiterführende Artikel zum Strategiewechsel im Digital-Marketing bei Adidas