Neue Amazon-Richtlinie: keine Rezensionen mehr durch Produkttester erlaubt

Das dürfte bei vielen einschlagen wie eine Bombe, denn seit Kurzem steht fest, dass Amazon offiziell gegen Produkttester:innen vorgeht – zumindest seine Richtlinien in diesem Bereich ändert und verschärft. Wie im amerikanischen Amazon-Blog zu lesen ist, verbietet Amazon den Aufbau von Rezensionen durch Produkttester:innen – mit einer Ausnahme: Amazon Vine.

Was viele Verkäufer:innen da draußen nerven wird, dürfte vor allem die Bewertungsportale schockieren – denn mit dieser Ankündigung ist quasi über Nacht ein komplettes Geschäftsmodell hinfällig geworden. Auch eine Amazon-Optimierung wird dadurch künftig deutlich schwieriger, beziehungsweise benötigt neue Strategien.

Warum verbietet Amazon Reviews durch Produkttester?

Um die Entscheidung von Amazon zu verstehen, muss man kurz einen Schritt zurückgehen. Vor einigen Monaten führte Amazon den Badge „verifizierter Kauf“ ein. Damit sollte eine normale Bewertung (entstanden durch eine reguläre Bestellung mit anschließender Rezension) von einer Kund:innenmeinung eines Produkttesters bzw. einer Produkttesterin (entstanden durch einen stark rabattierten oder kostenlosen Erwerb eines Produktes) unterschieden werden.

Das hat allerdings nur mäßig funktioniert, denn gefühlt 50 % der durch Produkttester:innen abgegebenen Bewertungen wurden trotzdem als „verifiziert“ angezeigt. Ein:e normale:r Kund:in dürfte den Unterschied ohnehin nicht bemerkt, geschweige denn verstanden haben.

Das führte dazu, dass frisch gestartete Produkte quasi über Nacht so viele Bewertungen sammeln konnten wie Artikel mit langer Verkaufshistorie – über mehrere Monate oder sogar Jahre. Des einen Leid war des anderen Freud – aber wie sich jetzt zeigt, so gar nicht im Sinne des E-Commerce-Riesen. Doch wie sich nun zeigt, entsprach dies nicht den Interessen des E-Commerce-Riesen.

Review-Studie belegt:
Produkttester bewerten „zu gut“

Gegner:innen von Produkttester:innen und deren Rezensionen behaupteten häufig, dass diese Bewertungen oft einfach positiver ausfallen, als sie ohne rabattierten Kauf oder kostenlose Produktvergabe zustande gekommen wären.

Und eine Studie von ReviewMeta.com mit über 7 Millionen Rezensionen hat nun gezeigt, dass Produkttester:innen nicht nur deutlich häufiger, sondern im Durchschnitt auch 0,38 Sterne positiver bewerten, als es ein:e normale:r Käufer:in tun würde.

Was sich zunächst marginal anhört, hat dennoch einen enormen Einfluss auf das Kaufverhalten – denn während ein Produkt mit 4,36 Sternen eher mittelmäßig wahrgenommen wird, gilt ein Artikel mit 4,74 Sternen bereits als Top-Produkt. Genau das konnte in der Vergangenheit binnen weniger Wochen mit Produkttester:innen erreicht werdenselbst in hart umkämpften Kategorien.

Ebenfalls zeigte die Studie, dass ein:e „normale:r“ Kund:in im Durchschnitt 31 Bewertungen abgegeben hat, während ein:e Produkttester:in durchschnittlich 232 Rezensionen im gleichen Zeitraum geschrieben hat.

studie-amazon-bewertungen-1

Studie ReviewMeta.com: Rezensionen von Produkttester:innen sind im Durchschnitt um 0,38 Sterne besser – und machen damit aus einem unbedeutenden Produkt schnell ein Top-Produkt.

Auch der Detailblick auf einzelne Produkte offenbarte deutliche Unterschiede: In der Studie wurden 251 Produkte und 609.766 Rezensionen untersucht, die jeweils mindestens 10 normale Bewertungen und 10 von offensichtlichen Produkttester:innen enthielten.

Dabei stellte man fest, dass bei 86 % der Produkte die Bewertungen von Produkttester:innen deutlich besser ausfielen als die von organischen Käufer:innen. Während verifizierte Käufer:innen Produkte teilweise mit durchschnittlich 2,7 Sternen bewerteten, vergaben Produkttester:innen durchschnittlich 4,7 Sterne – ein riesiger Unterschied.

studie-amazon-bewertungen-3

Weniger Vertrauen durch Kund:innen in Produkttester Rezensionen

Nach eigener Aussage stellte Amazon nun offenbar fest, dass Kund:innen den Bewertungen von Produkten immer weniger Vertrauen schenkten, da diese in ihren Augen stark durch Produkttester:innen beeinflusst waren. Ein Super-GAU für Amazon, denn – ob E-Commerce-Riese oder Mini-Onlineshop: Wer das Vertrauen seiner Kund:innen verliert, riskiert seine Glaubwürdigkeit und damit auch sein Business.

Das scheint nun der Grund zu sein, warum Amazon den Produkttester-Gruppen einen Riegel vorschiebt und Bewertungen von Produkttester:innen künftig löschen wird. Richtig: „wird“, denn diese neue Regel gilt erst ab sofort – das heißt, die meisten bisherigen Bewertungen von Produkttester:innen bleiben bestehen.

Wohl dem, der diesen Service bereits umfangreich genutzt hat – zum Leidwesen derer, die ihre Rezensionen mühsam mit echten Käufer:innen generiert haben.

studie-amazon-bewertungen-4

Neue Guideline bis jetzt nur in den USA

Die neue Richtlinie gegen beeinflusste Bewertungen gilt derzeit mit sofortiger Wirkung zunächst nur in den USA – also für amazon.com. Aber wie die Vergangenheit bereits oft gezeigt hat, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch auf amazon.de Rezensionen von Produkttester:innen verboten werden.

Das Resultat dieser Meldung dürfte sein, dass viele Verkäufer:innen noch schnell ihre Agenturen, Bewertungsportale oder Facebook-Gruppen bemühen, um möglichst viele Rezensionen aufzubauen. Diese Mühe dürfte jedoch höchstwahrscheinlich umsonst sein, denn wie techcrunch.com in einem Blogartikel mitteilt, löscht Amazon im Nachgang exzessiv generierte Produkttester-Rezensionen. Auch wenn das Update der Richtlinie in Deutschland noch nicht gilt, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass dies bald auch auf amazon.de passieren wird, sobald die Richtlinie hierzulande in Kraft tritt.

Amazon Vine profitiert,
die Bewertungsportale verlieren

Perfiderweise hat Amazon nichts grundsätzlich gegen Produkttester:innen – basiert doch genau darauf der hauseigene „Club der Produkttester:innen“ namens Vine. Allerdings zieht Amazon einen klaren Trennstrich und nennt dafür folgende Unterschiede zu den Bewertungsportalen:

  • Verkäufer:innen und Produkttester:innen haben keinen direkten Kontakt.
  • Amazon wählt sowohl Verkäufer:innen als auch Rezensent:innen selbst aus.
  • Amazon zeigt nur eine bestimmte Anzahl an Vine-Rezensionen an.
  • Durch Vine entstandene Rezensionen sind speziell gekennzeichnet.
  • Es wird kein rabattierter Kauf vorausgesetzt.
  • Rezensent:innen sind nicht verpflichtet, nach Erhalt des Produkts eine Bewertung abzugeben.

Bevor sich jetzt bestimmte Bewertungsclubs die Hände reiben und sich in ihrem Geschäftsmodell bestätigt sehen, sei nochmals auf Punkt 2 hingewiesen: Sowohl Verkäufer:in als auch Rezensent:in werden von Amazon selbst ausgewähltEnde der Diskussion. Damit ist der Prozess klar geregelt.

Update zu Amazon-Vine

In der Amazon-SEO Facebook-Gruppe wurde darauf hingewiesen, dass das Vine-Programm von Amazon doch etwas anders abläuft. Aktuell steht dieser „Club der Produkttester:innen“ nur Vendoren zur Verfügung – also solchen Händler:innen, die ihre Produkte direkt an Amazon verkaufen. Je nach Land kostet die Teilnahme zwischen 500 und 1.000 Euro pro Produkt. Dafür entfallen – im Gegensatz zu Bewertungsportalen – Gebühren für jede einzelne Bewertung.

Der Ablauf sieht folgendermaßen aus:

  • Jede:r Vendor kann am Vine-Programm teilnehmen und muss nicht extra ausgewählt werden – eine Teilnahmegebühr ist jedoch verpflichtend. Die Teilnahme ist kostenpflichtig.
  • Die Samples, für die Bewertungen generiert werden sollen, werden an das Amazon-Warenlager geschickt.
  • Amazon wählt passende Rezensent:innen aus und versendet die Produkte.
  • Erst nach einer abgegebenen Bewertung kann ein:e Rezensent:in über Vine weitere Produkte erhalten – es entsteht also indirekt eine gewisse Bewertungspflicht.

Noch ein Hinweis zur Korrektur: Alle Vine-Rezensionen werden angezeigt, allerdings ist die Anzahl der freigebbaren Samples pro Produkt begrenzt. Aktuell können Vendoren maximal 30 Samples pro Produkt freigeben. Amazon musste hier eine Begrenzung einführen, nachdem manche Vendoren vierstellige Stückzahlen an Testprodukten ins Lager geschickt hatten.

Welche Alternativen gibt es zu Amazon Vine um Rezensionen zu generieren?

Viele Händler:innen stellen sich nun die Frage, wie man überhaupt noch Bewertungen aufbauen kann, ohne Produkttester:innen zu akquirieren. Bewertungsgruppen, Portale und Agenturen sind mit der neuen Richtlinie in ihrer bisherigen Form Geschichte – das ist sicher. Jetzt ist Kreativität gefragt, um trotzdem Reviews zu generieren. Hier ein paar Möglichkeiten und deren rechtliche Bewertung:

  • Produkt zum vollen Preis kaufen lassen, später Rückerstattung über Dritte (z. B. PayPal): Möglich – aber rechtlich grenzwertig, verstößt gegen das Wettbewerbsrecht und kann als Betrug gewertet werden.
  • Produkt voll bezahlen lassen, später Gutschein in Höhe der Kaufsumme ausstellen: Funktioniert, ist jedoch auffällig und ebenfalls rechtlich problematisch.
  • Kund:innen nach Bestellung per E-Mail um Bewertung bitten: Ist grundsätzlich erlaubt, aber Achtung: Ohne ausdrückliche Einwilligung ist das rechtlich Werbung – und abmahnfähig.
  • Kund:innen telefonisch kontaktieren: Ebenfalls Werbung – rechtlich unzulässig. Außerdem sind Telefonnummern oft gar nicht mehr sichtbar.
  • Incentive im Paket beilegen und um Bewertung bitten: Möglich – aber mit geringer Erfolgsquote. Dennoch kann eine kreative Gestaltung helfen, um Bewertungen zu fördern.

Fazit

Diese Meldung dürfte bei vielen Amazon-Händler:innen einschlagen wie eine Bombe. Fakt ist: Produkte lassen sich nicht mehr so einfach per Produkttester nach oben pushen. Rabattierte Käufe sind zwar weiterhin erlaubt, können aber zukünftig stärker überwacht und mit einer Bewertung schnell auffällig werden.

Amazon kann technisch sehr wohl erkennen, welche Produkte stark rabattiert verkauft und anschließend bewertet wurden – und solche Bewertungen automatisch löschen. Wer sich nicht an die Guidelines hält, riskiert eine Sperrung des Seller-Accounts – ein Risiko, das niemand eingehen will.

Deshalb gilt: Kreativität und echtes Amazon SEO sind jetzt wichtiger denn je, um organisch Bewertungen und Sichtbarkeit aufzubauen. Immerhin hat Amazon angekündigt, dass Vine in Zukunft „more useful“ werden soll – was auch immer das konkret heißt. Gut möglich, dass Vine für weitere Händlergruppen geöffnet wird, allerdings vermutlich nicht kostenlos.

Dass Amazon Rezensionen anderer Quellen verbietet, ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen Seite auch schade – denn Produkttester:innen lieferten oft hochwertige Inhalte, die häufig mit „hilfreich“ markiert wurden. Sei es drum: Das Amazon-Game wird wieder ein Stück herausfordernder.